Tut schon weh - Eine Polemik


Eigentlich tut es ja schon echt weh, über die Gegenwart unseres geliebten Spiels zu sprechen, geschweige denn über die Zukunft nachzudenken. Überalterung, Mitgliederschwund, mangelnder Nachwuchs, Stagnation, Rückläufigkeit, Ahnungslosigkeit und eine ganze Menge Schuldzuweisungen.

 

Der moderne Mensch ist schuld, heißt es. Dieser will sich heute nicht mehr binden, zumindest nicht mehr langfristig. Er will kein Mitglied mehr im Club sein, will frei sein, ungebunden. Freizeit definiert sich heute nicht mehr dadurch, dass man eine Dreiviertelstunde im Stau auf dem Weg zum Golfplatz steht und dann vier bis fünf Stunden einem viel zu schwer zu treffenden Ball hinterher läuft. Freizeit ist heute per Instagram die Welt zu bereisen und stundenlang bei Facebook Hate-Speak zur Lage der Nation zu lesen.

 

Im Vergleich dazu ist Golf natürlich langweilig. Aber trotz dieser Langeweile auch unberechenbar (Wetter, Tagesform, Platzverhältnisse). Außerdem dauert es in seiner zählspieligen Form auf 18 Loch gestreckt viel zu lange, ist viel zu schwer zu erlernen und bietet trotz der widrigen Unberechenbarkeiten viel zu wenig Abwechslung. Komischerweise ist hieran das Fernsehen schuld. Nein, ernsthaft. Und die Pros. Jeder der auch nur annährend glaubt, anständiges Golf zu spielen, also hierzulande jeder mit einem Handicap von 24, hat auch ein Sky-Abo. Jeder. Und alle schauen nächtelang Tourevents. Meistens sind diese Events Zählspielturniere, weil die Industrie ihre Stars und Logos möglichst lang im Bild haben will. Die dort auftretenden Tourspieler, natürlich nicht alle, aber dann doch einige, brauchen lange. Sehr lange, schließlich kosten Fehler auf der Tour schnell mal hohe Beträge.

 

Und so benimmt sich, während man darauf wartet, seinen zweiten Schlag ins Grün zu spielen, der Sonntagsvierball von Herrn Dr. Wasauchimmer auf der Puttfläche vor einem immer häufiger so, als ginge es darum, die Masters zu gewinnen. Das Problem ist ja seit Jahren bekannt. Kann allerdings nicht gelöst werden. Der Herr Dr. und seine Spielpartner zahlen schließlich tausende von Euros im Jahr um ihren Sport auszuüben, da will man sich nicht hetzen lassen. Apropos Lösung: Neuerdings rufen plötzlich die gleichen Leute, die noch vor kurzem ein Lebenshandicap zur Seinsberuhigung selbstverliebter Spätberufener als Lösung irgendeines mir nicht einmal in Ansätzen verständlichen Problemes propagiert haben, nach mehr Matchplay... Golf soll dadurch ansprechender werden. Mann gegen Mann, wie beim Tennis. Naja. Tennis, lese ich, ja genau, „der weiße Sport“, Tennis sei auch schuld an der Golfmisere. Früher spielte man in jungen Jahren Tennis, dann, als die Knochen nicht mehr konnten, wechselte man zum Golf.

 

Heute spielt keiner mehr Tennis, zu prollig wohl (heute spielt man nicht mal mehr Tischtennis). Wenn aber niemand mehr aus dem Tennisclub austritt, weil er zuvor ja gar nicht eingetreten ist, kommt keiner mehr in den Golfverein. Wo bleibt er denn dann? Ah, da... das Internet mal wieder. Leute hängen Stunden lang in der Cloud, spielen Fortnite und andere Ballerspiele mit Menschen, die in Weißrussland sitzen und in Schweden. Freundschaften kann man so sehr schön digital pflegen und gleichzeitig dem anderen aufs Maul hauen. Gute Sache, dass wir nun den digitalen Ausweis und die digitale Scorekarte einführen. Endlich auf der Runde offiziell am Handy fummeln dürfen. Statt des Doublebogies ein Birdie eingetragen und noch schnell bei Tik-Tok reingeschaut. Ach, diese jungen Leute...

 

Junge Leute... Wer ist das eigentlich heute? Ist das mein Sohn (13)? Oder mein Kumpel (30), oder gar ich (50)? Diese jungen Leute wollen ja angeblich ihre Zeit nicht mehr mit den Alten verbringen (50, 60, 70, 80?). War das aber je anders? Kann man natürlich auch verstehen, wenn man mal einen Blick auf eine Golfanlage wirft. Ein golfspielender Homie des Sohnes, gerade 14 geworden, ein höflicher Kerl mit anständigem Schwung, nennt die Patienten dort, Entschuldigung, Mitglieder, nur noch „the Walking Dead“. Platzsperrende Menschenmassen mit dem Gefühl, stets im Recht zu sein. Mittwochs sind die Herren dran (keiner unter 65), Donnerstags die Senioren (keiner unter 70) und Dienstags die Damen (Sie wissen schon). Wenn Du mit dreizehn Jahren da mal mitgespielt hast, hast Du mehr über das Leben und die feine Kunst des gediegenen Regelbruchs erfahren, als es Deinen Eltern jemals Recht sein könnte. Die Jugendmannschaft haben sie im letzten Jahr auf unserer betreibergeführten Anlage natürlich abgeschafft. An die Alten, viele davon Gründungsmitglieder, die sich – vermutlich nicht ganz zu Unrecht - um die in den 90er Jahren versprochene Vision eines glanzvollen Countryclubparadieses betrogen fühlen, trauen sie sich nicht ran. Wohl auch in der Annahme, dass die meisten sehr bald sterben werden und sich das von alleine irgendwann mal löst. Sie lachen nicht? Gut!

 

Wenn Sie versuchen, vormittags an einem der genannten Tage mal schnelle Neun zu spielen, werden Sie überrascht sein, was es noch alles auf unserer Anlage zu entdecken gibt. Zeit zum schauen haben Sie dann. Neulich, als mich der Irrsinn des Freiberuflers an einem Donnerstag Vormittag auf den Platz trieb, um eben jene „schnellen Neun“ zu spielen, brauchte ich zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten. Am Abschlag der kurzen 5 schien es mir, als könne ich den kompletten Lebenszyklus einer Löwenzahnblüte auf der Teebox stehend beobachten. An ein Durchspielen war natürlich nicht zu denken. „Vor uns ist alles voll!“, hieß es. Nur das Spielen dreier Bälle rettete mich vor dem Wahnsinn und den Vorflight vor meinen Handgreiflichkeiten. Ich wäre in staatliche Verwahrung gekommen. Der Staat, der ist natürlich auch schuld. Ewige Genehmigungshemmnisse, griesgrämig missgünstige Beamte, schlechte Infrastruktur, Umweltauflagen und Ignoranz bis zur Borniertheit. Der Staat tut nichts für Golf. Stimmt, hat er in Deutschland ja noch nie getan. Versuchen Sie mal eine Gemeinde vom Sinn einer Bushaltestelle am Platz zu überzeugen. 

 

Man erinnere sich auch mal an die Versuche, für eine Ryder Cup-Bewerbung seitens der politischen Elite Unterstützung zu finden. Hmmm. Hat vielleicht etwas damit zu tun, dass sich der Sport bei uns – anders als hochgradig subventionierte Wintersportarten -, vor knapp hundert Jahren als Freizeitbeschäftigung einer politisch entmachteten Adelskaste etablierte. Hierzu muss man einfach mal in die Historie des DGVs blicken. Viele „von“s dort. Wahrscheinlich hat die Politik noch immer Sorge, sich mit Golf blicken zu lassen, aus nicht unberechtigter Annahme, mit dem degenerierten Nichtstun assoziiert zu werden. Golfer zu sein ist für einen Politiker hierzulande ähnlich schwierig, wie sich als passionierter Zigarrenraucher zu outen. Man denke nur an Schröder und Wowereit zurück. Der eine durfte mit russischen Potentaten ins Bett, musste sich jedoch öffentlich die Zigarre verkneifen, der andere seine Golfleidenschaft. Das ist zwar einige Jahre her, viel hat sich allerdings in dieser Hinsicht nicht geändert.

 

Dass der orangefarbige Kleptokrat in Washington Golf spielt, macht alles auch nicht leichter. Aber lassen wir das. Leidenschaft... Heutzutage aber ist Leidenschaft so eine Sache. In einer Gesellschaft, in der die Anzahl kleiner bunter Herzen und lustiger Daumen den Wert unserer Daseinsveräußerungen zu signalisieren scheinen ist Leidenschaft, die nicht sofort in Befriedigung endet, eine interessante, weil vom Aussterben bedrohte Sache. Was nicht sofort klappt wird nicht weiterverfolgt. Dieser von Pädagogen und Trainern auch anderer Sportarten beklagter Umstand prädestiniert eine so unzugängliche Beschäftigung wie Golf, die sich dem Novizen (aber auch dem Übungswilligen) mit aller Kraft zu entziehen versucht, zu einem Dasein am Rande. Aber...

 

Denn wer sagt, dass Golf wirklich in Gefahr ist? Natürlich sterben Clubs, Plätze werden schließen und manche Anlagen in Vergessenheit geraten. Na und? Viele, die verschwinden sind es vermutlich nicht wert, am Leben gehalten zu werden. Nicht jeder Acker, den ein findiger Bauer zu Boomzeiten umfunktioniert hat, verdient den Namen Golfplatz, nicht jeder schlecht geführte Club ist eine Bereicherung.

 

Aber das Spiel selbst ist nicht wirklich in Gefahr. Es ist wohl trotzdem so, dass Golf dringend eine Erneuerung braucht. Die wird nicht ohne Opfer auskommen. Denn es gibt wahrscheinlich nur eine sehr endliche Zahl Durchgeknallter, für die dieses alte, zeitaufwendige, schwer zu beherrschende, Demut lehrende Spiel eine echte Faszination ausübt. Und warum glauben wir, dass Wachstum die einzige Antwort sein kann? Es wird sich wandeln, sich entwickeln und sich verändern. Wir werden auf Linksplätzen spielen und auf Parkland-Anlagen. Manche Plätze werden Löcher schließen, um Platz für Übungsanlagen und Ranges mit Diskobeschallung zu schaffen, eine gute Idee vielleicht und in nicht allzu ferner Zeit werden wir auch auf virtuellen Plätzen spielen, die von echten Anlagen kaum zu unterscheiden sein werden. Dort müssen wir wenigstens nicht auf den schlafwandelnden Flight vor uns warten. Egal was passiert. Das Spiel gibt es, seit wir mit Stöcken auf Steine hauen, und es wird weiter existieren. Golf wird überleben.

 

Mark Horyna, Golfjournalist, The New Gentleman Golfer,

Kontakt: mr.horyna@thenewgentlemangolfer.com

 

Autor und Filmemacher Mark Horyna lebt und arbeitet in der Nähe von Stuttgart. Seine Texte finden Sie regelmäßig im australischen „Caddie-Magazine“, der deutschen „Heritage Post“, dem schweizerischen „GolfPlus“ und dem österreichischen „Perfect Eagle“. Als „The New Gentleman Golfer“ treffen Sie ihn in den sozialen Medien und gelegentlich auch vor der Kamera. Er hat zudem Golfbetriebsmanagement (IST) studiert und ist Vorstand eines Fördervereins, der sich um den Golfnachwuchs kümmert. Sie erreichen Horyna telefonisch unter 01743330702 und per Mail mr.horyna@thenewgentlemangolfer.com